G.d.B. RAUM – RELIEF – FLÄCHE
Dieter Detzner beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit der Aneignung und Wahrnehmung räumlicher Zusammenhänge, die er bisher in skulpturalen Objekten, Installationen und vor allem in seinen Reliefs umgesetzt hat. Mit seiner für die Art Basel entworfene, aus mehreren inhaltlich und räumlich eng miteinander verschränkten Werken bestehenden Installation G.d.B.,führt er diese Thematik nun einen entscheidenden Schritt weiter.
Detzner bezieht den Betrachter aktiv und unmittelbar in das komplex arrangierte Kunstwerk ein, indem er ihn auf zwei unterschiedlichen Ebenen in den von ihm geschaffenen Kunstraum eintreten lässt. Absichtsvoll verwischt er dabei die Grenzen von Innen und Außen, ist doch der Würfel sowohl Teil des künstlerischen Gesamtarrangements in der Ausstellungskoje – also darin präsentiertes Objekt – als zugleich Ausstellungsraum mit den an seine Wände gehängten Bildern. Detzner erzeugt eine Spannung, indem das Körperliche (der Raum) mit dem Unkörperlichen (den Bildern) in eine komplexe Beziehung gesetzt wird, in deren konzeptioneller Mitte sich die an die Fläche gebundenen plastischen Formen (die Reliefs) befinden.
Die Basler Installation setzt sich also aus drei grundverschiedenen Bestandteilen zusammen, die in einer Reduktion auf die beiden Farbwerte Schwarz und Weiß miteinander kontrastieren: Eine Serie aus schwarzen Flächen, eine kleine Gruppe aus schwarzen Reliefs sowie eine weiß gefasste räumliche Konstruktion, welche die beiden genannten Elemente mit dem Betrachter verbindet. Damit ist die Installation auch als eine Reflektion über die Möglichkeiten bildnerischer Gestaltung in ihren drei Dimensionen lesbar.
RAUM
In eine Koje der Basler Messehallen stellt Dieter Detzner einen nach oben und vorne hin geöffneten Würfel mit einer Kantenlänge von 3,50 Metern, dessen weiß gestrichene Wände und Bodenfläche sich von dem umgebenden schwarzen Fußboden deutlich abheben. Der Würfel ist diagonal im eigentlichen Ausstellungsraum positioniert. In ihm sind Fragmente dreier weiterer weißer Würfel enthalten, die im Verhältnis zu dem Ursprungswürfel in einem Winkel von je 7 Grad progressiv um die drei Würfelachsen gedreht sind. Aus der dreifachen Bewegung und der jeweils fragmentierten Darstellung resultieren die im Inneren des Würfels gekippten Wand-, Boden- und Deckenflächen. Der in die Ausstellungskoje eingestellte Würfelraum bestimmt dabei Maß und Ausdehnung dieser Würfelsegmente: Alle über den ersten Würfel, die Hülle, hinausragenden Teile wurden abgeschnitten; darauf verweist unter anderem die sichtbare, abgeschrägte Schnittkante des Würfelfragments auf der Vorderseite der Installation. Aus diesem Grund ist auch eine Hälfte der Decke – in Form eines Dreiecks – nach oben hin sowie eine Hälfte der Vorderseite – wiederum ein Dreieck, das dem Betrachter erst das Betreten dieses Raums ermöglicht – offen. Man hat es also mit einer Verschränkung von vier Würfeln zu tun, deren räumliche Anordnung geometrisch genau definiert ist.
Beide Räume, sowohl der Galerieraum als auch der Würfelraum, sind Ort der Hängung von weiteren Kunstwerken Detzners. Auf dem weißen Grund sämtlicher innerer Würfelflächen befinden sich die Rußbilder, außerhalb des Würfels sind an den Wänden der Ausstellungskoje die anthrazit-schwarzen Reliefs angebracht.
RELIEF
Zwei Arbeiten werden im rückwärtigen Bereich der Messekoje präsentiert. Es handelt sich um die beiden Reliefs D.N. und F.A., die beide aus anthrazit-schwarzem Acrylglas gefertigt sind und einer Werkgruppe entstammen, die durch ihre identische bildnerische Grundidee charakterisiert ist. Seit 2007 entstehen die hochformatigen, einfarbigen Acrylglasarbeiten mit ihren diagonal aufgesetzten, sich gegenseitig überschneidenden und durchkreuzenden Prismen. Die das Zentrum betonende Arbeit D.N. besteht dabei aus drei von links nach rechts ansteigenden Prismen sowie einer diese gegenläufig kreuzenden Form, F.A. hingegen aus drei peripheren, am rechten, oberen und linken Rand verlaufenden, und einer diagonal die untere rechte Ecke durchquerenden Figur. Die jeweiligen Farben des Materials sind Ergebnis eines Auswahlprozesses aus dem Katalog des Herstellers der Acrylglastafeln, deren maximal lieferbare Größe Detzner in seinen Reliefs annähernd ausschöpft. Das Grundmaterial ist also nicht vom Künstler geschaffen, sondern industriell hergestellt, von ihm gefunden, zweckentfremdet und für das jeweilige Werk in seiner Farbe ausgewählt. Der weitere Prozess der Entstehung der Reliefs ist hingegen ein handwerklicher. Nach vorbereitenden Skizzen werden die variablen Parameter – Menge, Größe, Form sowie Lage und Ausrichtung der Prismen – in einem computergestützten Arbeitsprozess in eine endgültige Beziehung zueinander gebracht und die Schnittform der Prismen errechnet. Deren Herstellung übernimmt Detzner mithilfe einer eigens von ihm zu diesem Zweck angefertigten Schneidemaschine. Mögliche Spuren und Ungenauigkeiten der handwerklichen Herstellung sind dabei eingeplant, der Betrachter kann durch diese Hinweise sowie durch die an den Seiten offen gelassenen Prismen den Prozess des Bauens nachvollziehen. Die Makellosigkeit industrieller Materialfertigung und die Spuren der handwerklichen Kunstgenese gehen in den Reliefs eine widersprüchliche und provozierende Verbindung ein. Hinzu kommt die verstörende Spiegelwirkung der Acrylreliefs: Kann sich der Betrachter mitsamt dem umliegenden Bezugsraum in der Fläche spiegeln, brechen sowohl die Farbe des Acrylglases als auch die Form der Prismen die gespiegelte Realität in zahlreiche, surreale Facetten auf.
FLÄCHE
An den Innenwänden des Würfels befindet sich eine Anzahl Rußbilder, die jüngste Werkserie von Dieter Detzner. Es handelt sich hierbei um Spiegelglasscheiben, ungefähr im Format A3, die mit einem kleinen Abstand direkt auf die Wände gehängt sind. Die Oberfläche eines jeden Spiegels wurde über einer Benzinflamme gerußt und damit eine nahezu homogene schwarze Oberfläche erzeugt. Dieser Akt des Schwärzens durch das Abfallprodukt eines Verbrennungsvorgangs macht die technisch perfekte Oberfläche unkenntlich und verhindert ihre eigentliche Funktion, das Widerspiegeln der Umwelt. Durch ein an einem Seil pendelndes Lot ritzt Detzner nun feine Zeichnungen in diese schwarze Oberfläche, wodurch das spiegelnde Glas wieder zum Vorschein kommt. Je nach Anfangsgeschwindigkeit, Länge und Richtung, die Detzner ihm gibt, hinterlässt das Pendel kleine oder größere, gerade oder geschwungene Spuren auf den Platten. Der Zerstörung der Spiegelwirkung antwortet er also mit einer weiteren Oberflächenstörung, der Ritzung, durch die die Zeichnung nun gewissermaßen aus der schwarzen Fläche hervorblitzt.
FLÄCHE
Erscheinen die Motive der Rußbilder auf den ersten Blick als einfache, freie Zeichnungen auf schwarzem Grund, so sind bei näherer Betrachtung sowohl die Technik als auch das Material und der Entstehungsprozess der Rußbilder ungewöhnlich und erfordern eine nähere Erläuterung. Anders als in bisherigen Kunstwerken, die Ruß als Material aufweisen – man könnte hier vor allem an die surrealistischen Fumages-Arbeiten von Wolfgang Paalen aus den 1930er Jahren denken – entsteht nicht aus der qualmenden, rußenden Flamme ein Bild, sondern nur eine nahezu homogene, leicht wolkige schwarze Fläche. Wo Paalen per Kerzen- oder Kerosinflamme Papierblätter oder Leinwände schwärzte und auf diese Weise eigenwillige, organisch wirkende Figurationen hervorbrachte, verwendet Dieter Detzner die geschwärzte Platte lediglich als Bildträger. Das Material Ruß verweist bei ihm auch nicht auf etwas außerhalb des Bildes Liegendes, es bedeutet nichts und ist kein Symbol – wie beispielsweise Ruß, Asche oder Feuer in der Arte povera verwendet wurden, um komplexe Bedeutungsbezüge herzustellen. Gleich einer Radierplatte aus Metall, auf die vor der Zeichnung ein Deckgrund aufgebracht und die zur besseren Sichtbarkeit bei der Arbeit schwarz eingerußt wird, oder auch einer beschichteten Fotoplatte aus Glas, wird nun in diese schwarze Oberfläche durch eine Bearbeitung, hier die partielle Ritzung der Materialschicht, eine Zeichnung hervorgebracht. Man könnte hier ein analoges Verfahren des Pariser Fotografen Brassaï zum Vergleich heranziehen, der in manche seiner bereits belichteten Fotoplatten Schraffuren und Linien einritzte, um auf diese Weise verfremdete, halb belichtete, halb gezeichnete Akte hervorzubringen. Und dennoch führt dieser Vergleich mit Drucktechnik und Fotografie auf eine falsche Fährte: Denn aus dem Zeichenvorgang Detzners resultiert keine Platte zur Vervielfältigung, sondern ein Unikat, die Zeichnung selbst. Und auch Brassaï belichtete seine bearbeiteten Negative wiederum auf Papier aus. Auch diese sogenannten Transmutations bleiben also, ähnlich wie die weit zuvor entstandenen Clichés-verres von Malern wie Jean-Baptiste Camille Corot oder Charles-François Daubigny, Negative zur Herstellung von Positivabzügen.
Nichtsdestotrotz verweist das Verfahren des Zeichnens durch ein pendelndes Lot, das Detzner selbst als einen Akt der écriture automatique beschreibt, also als ein unzensiertes Zeichnen ohne planenden, kalkulierenden und somit kritisch-bewussten Einfluss des Autors, durchaus auf die künstlerischen Praktiken der Pariser Surrealisten der Zwischenkriegszeit mit ihren Vorlieben für Abfallprodukte wie Ruß, den Reiz am Spiel mit der in der Fläche gespiegelten räumlichen Welt und nicht zuletzt für die planvolle Einbeziehung des Zufälligen in die Genese des künstlerischen Werks.
Dass Detzner hierbei nicht in einer surrealistischen Trance versinkt und den Zufall in den Bereich der Mechanik auslagert, macht deutlich, dass seine Position viele Anknüpfungspunkte kennt und verarbeitet. Nicht zuletzt bildet sich durch den kinetischen Zeichenprozess – anders als bei der kleinen, unermüdlich in zwei Dimensionen tätigen Machine à dessiner von Jean Tinguely, die durchaus als eine Verwandte aus der Familie der automatischen Zeichenprozesse gelten kann – der durchwanderte Raum des Pendels auf der kleinen zweidimensionalen Fläche ab. Der Spur eines Foucaultschen Pendels im Sand vergleichbar, sind die Rußbilder Zeugnisse der zeitlichen Bewegung eines Körpers durch den Raum. Hier jedoch belegen die Zeichen auf dem gerußten Spiegel nicht die Rotation der Erdkugel, sondern die Divergenz zwischen geplanter und zufälliger künstlerischer Produktion. Jede Bewegung, so mechanisch sie ausgeführt ist und so berechenbar sie prinzipiell auch wäre, bleibt dabei einmaliges Ereignis und ist grundsätzlich nicht wiederholbar. Muss also der mechanische Zeichenprozess im Raum als wesentlicher Bestandteil der Rußbilder gelten, so handelt es sich bei ihnen nicht nur um gegenstandslose Malerei, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern zugleich auch um direkte Abbilder der Wirklichkeit. Im Sinne Piet Mondrians sind Detzners Rußbilder „abstrakt-real“.
RELIEF
Außerhalb des eingestellten weißen Würfels stößt man auf die beiden Reliefs aus spiegelndem anthrazitfarbenem Acrylglas: D.N. und F.A. An den Innenwänden der Messekoje installiert, fordern sie den Besucher auf, sich mit den räumlichen Gegebenheiten näher zu befassen. Befindet er sich noch außerhalb oder schon innerhalb der Installation?
Als die dominierenden Elemente beider Reliefs erscheinen zunächst die angeschnittenen plastisch hervortretenden Prismenelemente, die sich in mehreren Ebenen überlagern und durchkreuzen. Die Kreuzungspunkte finden sich nicht an der jeweils selben Stelle der Bilder. Im Gegenteil: Betrachtet man Detzners Relief-Arbeiten der letzten Jahre, so drängt sich die Überlegung auf, ob sich die Prismen nicht möglicherweise in einem freien Bewegungsprozess befinden, die Situation eines jeweiligen Reliefs und der Kreuzungspunkte also kein zwangsläufiges, logisch bestimmtes, sondern ein nahezu zufälliges Zusammentreffen beschreibt, einen eingefrorenen Zeitpunkt aus einer sich im Raum bewegenden, undefinierten Menge an Körpern darstellt. Diese Betrachtungsweise wird dadurch gestützt, dass die Prismen an den Rändern des Bildträgers abgeschnitten sind und absichtsvoll in das rohe Innere und den Herstellungsprozess Einblick gewähren. Es handelt sich hier ganz offensichtlich um Ausschnitte aus einer Gesamtsituation, die außerhalb der Bildfläche eine Fortsetzung finden muss und die dem Betrachter aber verborgen bleibt.
Für das Verständnis dieser Interpretation ist ein Blick auf Detzners Rauminstallation Pietro hilfreich. Ein quaderförmiger Raum einer Galerie, weiß gestrichen und durch Neonlicht sowie eine straßenseitige Durchfensterung hell beleuchtet, kann durch eine höhergelegene Tür und drei hinunter führende Stufen betreten werden. Aus Decke, Fußboden und Wänden ragen Prismen in die geometrische Mitte des Raums, treffen sich aber nicht, da sie von einem imaginären schwebenden Raumquader abgeschnitten scheinen. Dieser im Galerieraum durch die Prismen definierte Luftraum, dessen Zentrum mit den imaginären Kreuzungspunkten sich in etwa in Kopfhöhe befindet, kann betreten werden, so dass er nun anhand der Schnittflächen an den Prismen auch tatsächlich optisch komplettiert und wahrgenommen werden kann. Das Zentrum des Kunstwerks ist also leer, es befindet sich dort außer einem scharf begrenzten Nichts lediglich ein möglicher Betrachter. Ebenso wie Pietro nicht nur das vorhandene, konstruierte Material zum Kunstwerk macht, sondern auch den leeren, nicht-materialisierten und dennoch sichtbaren Raum, sind die Reliefs grundsätzlich auch ohne ihre Prismen denkbar. Ihre Kreuzungspunkte könnten sich auch außerhalb der Fläche befinden, übrig bliebe in einem solchen Fall ein großes Stück spiegelndes Acrylglas und die Vorstellung nicht sichtbarer Prismen rund um die Bildfläche und im Raum. Es ist, so möchte man anschließend an Theo van Doesburg und Piet Mondrian, die beiden Künstler und Haupttheoretiker der Künstlergruppierung De Stijl, formulieren, eine offene oder periphere Komposition, in der das Ausschnitthafte der Bildfläche eine entscheidende Rolle der Gestaltung bildet. Wenn also das entstandene Kunstwerk einen Zustand aus einer Unzahl weiterer Möglichkeiten darstellt, kann es am ehesten als eine zufällige, in Sekundenbruchteilen festgehaltene Momentaufnahme beschrieben werden. Diese Diskrepanz zwischen einer potentiellen Bewegung und des realen Stillstands verstärkt Detzner durch die ablesbare Handwerklichkeit der Produktion.
Die genannte Analogie zu Kunst und Kunsttheorie der 1920er Jahre ist nicht zufällig herausgegriffen und isoliert. Zahlreiche Anknüpfungspunkte verbinden das Werk Dieter Detzners mit der Avantgarde der Zwischenkriegszeit. In den Reliefs sind es mehrere Stränge, die zusammenlaufen, um einen wiederum eigenen, neuen Standpunkt auszubilden. Neben den Parallelen zu De Stijl, einer der Hauptrichtungen der geometrischen Abstraktion im frühen 20. Jahrhundert, sind es in erster Linie künstlerische Positionen aus der konstruktiv bestimmten Kunst, vor allem aus dem Umkreis der russischen und ungarischen Avantgarde. Die Kontra-Reliefs von Wladimir Tatlin, jene raumplastischen Tafeln aus Holz und Metallgegenständen, wären hier ebenso zu nennen, wie die Gemälde von László Moholy-Nagy oder der berühmte Prounenraum El Lissitzkys. Alle drei Künstler loteten in ihren Werken die bildnerischen Möglichkeiten aus, die sich aus der gegenseitigen Durchdringung von Fläche, Relief und Raum ergeben. In diesem Widerstreit zwischen Fläche und Raum, den die Reliefs von Dieter Detzner provozieren, nimmt die Imagination des Betrachters eine wesentliche Rolle ein. Er ist es, der die angeschnittenen Prismen sowohl über die Ränder der Bildfläche hinaus als auch in sie hinein und hinter ihr fortdenken muss. Und so stellt die spiegelnde Fläche, in dem sich der Betrachter erkennt, eine unausgesprochene „Balance zwischen konkav und konvex“ dar, wie Theo van Doesburg in den zwanziger Jahren den Bildträger umschrieb. Denn auch wenn die Prismen zunächst vor der glatten Rückwand aufgebaut scheinen, so sind sie doch meistens zu einem guten Teil in ihr versunken beziehungsweise wachsen aus ihr heraus. Die freie und ungestaltete Spiegelfläche – Inbegriff des Zweidimensionalen – weist alles Räumliche ab und wirft es zurück. Sie macht deshalb neben den Prismen den zweiten, nicht weniger wichtigen Schwerpunkt der Reliefs aus. Erst das Vorhandensein dieser leeren Orte in der Bildfläche erlaubt es dem Betrachter, Überlegungen über den gewählten Bildausschnitt und den ihn umgebenden Raum anzustellen und beide in Relation zueinander zu setzen.
RAUM
Dieter Detzner führt in seiner Basler Installation die Auseinandersetzung von räumlich-zeitlichen Zusammenhängen entschieden weiter, indem er den Raum selbst in den Prozess der künstlerischen Aneignung einbezieht: Der Raum – hier der Würfel – ist Träger der Exponate und Exponat zugleich.
Schon 1923 ging El Lissitzky auf der Großen Berliner Kunstausstellung diesen Weg und kombinierte in dem sogenannten Prounenraum farbige geometrische Flächen mit dreidimensionalen Körpern, die an den Wänden befestigt waren. Ihm folgten 1926 und 1928 Lissitzkys sogenannte „abstrakte Kabinette“ in Dresden und in Hannover, die zu den ersten Environments oder Rauminstallationen der Kunstgeschichte zählen. Vor allem das Kabinett der Abstrakten in Hannover ist als Ausstellungsraum für abstrakte Kunst und als eigenständiges Kunstwerk gleichermaßen bekannt geworden. Weitere Künstler wie László Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Piet Zwart oder Friedrich Kiesler verwoben in den zwanziger Jahren Kunst und Realität, Innen- und Außenraum, Ausstellungs- und Kunstraum miteinander und schufen in ihren „Demonstrationsräumen“ (El Lissitzky), die häufig zudem mit Lichtspielen und räumlichen Verfremdungen operierten, eine neue Kunstform. Raum der ausgestellten Kunst und Kunstraum sind seither nicht mehr voneinander zu trennen.
Im Kontext räumlicher Installationen ist auch an Mondrians Pariser Atelierwohnung zu denken, die er 1921 bezog. Zahlreiche an den Wänden befestigte farbige Rechtecke formten mit einigen seiner fertigen Gemälde sowie schwarz und weiß gestrichenen, orthogonal angeordneten Möbelstücken und Staffeleien einen dreidimensionalen Farbraum, der je nach dem in Arbeit befindlichen Gemälde verändert wurde. Dieses Ambiente avancierte in Insiderkreisen zu einem der berühmtesten Raumkunstwerke der frühen Moderne, dessen flirrende Geometrie seine Betrachter faszinierte und zur Bewegung im Raum herausforderte. Als Mondrian von Alexander Calder, dem Erfinder der Mobiles, einmal gefragt wurde, ob es nicht interessant sein würde, all diese im Raum aufgehängten Rechtecke ebenfalls in Bewegung zu bringen, antwortete dieser: „Nein, das ist nicht nötig, meine Malerei ist bereits sehr schnell.“
Alle diese räumlichen Installationen sollten begangen werden, nicht nur „durch das Schlüsselloch“ oder „die offene Tür“ angesehen werden. In Max Bills Entwürfen für begehbare Denkmale, Pavillon-Skulpturen oder Ausstellungsgestaltungen fanden solcherlei Konzepte eine Fortsetzung und führten, so der Künstler selbst zu einem seiner Denkmalentwürfe, zu einer „Synthese von Plastik – Architektur – Malerei in einer räumlichen Gestalt“. Der Raum sei „als Plastik gestaltet, indem der Innenraum sich in den Außenraum“ überführe.
Gleiches verursacht die Installation G.d.B. . Der Betrachter wird, indem er sich in dem von Detzner geschaffenen Kunsträumen bewegt, zu einem wesentlichen Bestandteil des Kunstwerks, er ist geradezu zwangsläufig aufgefordert, sich zu diesem zu positionieren und Standort und Blickrichtung zu verändern. Die Bewegung des Betrachters ist eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Wahrnehmung der in Basel präsentierten Arbeiten, die wiederum selbst Bewegung abzubilden scheinen.
Die optischen und räumlichen Erfahrungen führen den Betrachter jedoch nicht zu einer Erklärung der Kunst, sondern vor allem zu der Entschlüsselung ihres Entstehungsprozesses und ihrer ureigenen Struktur. Die Werke und ihre bildnerischen Mittel selbst bedeuten nichts als nur sich selbst, bleiben also schlussendlich enigmatische Zeichen und Räume. Der hierin zu erkennende Verzicht auf individuelle, bedeutungsvolle Ausdrucksmittel ist jedoch gepaart mit einer höchst individuellen Formfindung und Gestaltungsabsicht. Dem Entwurf des Kunstwerks liegen vor seiner Ausführung exakte Berechnungen zur Drehung und Progression des Würfels zugrunde. Sie führen zu einem komplexen, offenen Raum aus zueinander positionierten Dreiecken, die ein prismatisches und bewegtes Flächengefüge erzeugen. Dieses findet erst in der Imagination des Betrachters seine Fortsetzung und damit seine eigentliche Struktur.
Die bewusste Zurücknahme des Künstlerindividuums durchkreuzt selbst in den scheinbar zufällig entstandenen Rußbildern der omnipräsente Formwille. Detzners Werke entstehen aufgrund ihrer eigenen bildnerischen Mittel und Gesetzmäßigkeiten, es sind materialisierte abstrakte Ideen, die in optisch wahrnehmbare, konkrete Formen überführt werden.
Sibylle Hoiman und Matthias Noell
© Sibylle Hoiman und Matthias Noell, Berlin
Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.